Dieter Hadamczik:

Unsere Volksbühnen sind keine Volkstheater

Ein altes Thema: Die Schwierigkeit mit dem Namen

 

Dass die Bezeichnung „Volksbühne“ zuweilen missverstanden wird, ist ein altes Thema in der fast 70-jährigen Nachkriegsgeschichte. Die Frage, wo man denn eigentlich spiele, ist auch nicht unbegründet, denn es gibt eine Reihe von Amateurtheatern, die sich ebenfalls „Volksbühne“nennen.

„Die Kunst dem Volke“ war der ursprüngliche Ruf der Urväter der Volksbühnenbewegung Ende des 19.Jahrhunderts. Man wollte eine Bühne für den vierten Stand schaffen. Das ist aus der gesellschaftlichen Lage dieser Zeit und aus den damaligen Wortbegriffen zu verstehen. Unter „Volk“ verstand man nicht die Gesamtheit der Nation, sondern das „Proletariat“,die Arbeiterschaft, aus der heraus eine Bewegung geworden war.

Im April 1889 gründete sich in Berlin der Theaterverein „Freie Bühne“, um für seine Mitglieder frei von der damals herrschenden preußischen Zensur in geschlossenen Vorstellungen moderne naturalistische Stücke aufführen lassen zu können. Das wollte Bruno Wille ein Jahr später für die „vernachlässigten, bildungshungrigen Arbeitermassen“ auch. Er rief dazu auf, dazu den Verein „Freie Volksbühne“ zu gründen. Der Name Volksbühne war aus dieser Kombination der Begriffe entstanden.

Die Weiterentwicklung bis 1933 und die Wiederbelebung des Volksbühnengedankens nach dem Zweiten Weltkrieg fanden bereits in anderen gesellschaftlichen Verhältnissen statt. Aus dem „Arbeiter“ war nach dem Krieg der „Angestellte“ geworden. Vieles verschob sich immer weiter in den sozialen Schichtungen und ihren Begriffen. Aber der Name „Volksbühne“ blieb erhalten. Er wurde zu einem traditionsreichen Symbol. Es ist bekannt, dass der Berliner Kulturstadtrat Dr. Siegfried Nestriepke, der in zähem Ringen 1946 die Berliner Volksbühne mit Hilfe wichtiger Mitstreiter und Unterstützung der Stadt wieder belebte, anfangs sogar auf den Namen Volksbühne verzichten wollte. Nestriepke plante ein Gegenprogramm zum FDGB, dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, und zur SED im Ostteil der Stadt, die die Besucherorganisation als Organ der Gewerkschaften und Teil eines großen Programms zur Freizeitgestaltung werden lassen wollten. So ließ Nestriepke am 23. Dezember 1946 durch einen Ausschuss der Sozialdemokratischen Partei einen Satzungsentwurf zur Schaffung eines „Volksbundes für Freizeit und Kultur" ausarbeiten, der, losgelöst von Parteien, Gewerkschaften und Kulturbund, für gute und billige Theaterkarten, für den Vertrieb guter und preiswerter Bücher, für künstlerischen Hausrat, Errichtung von Lesesälen, Erholungsstätten, Wochenendfahrten, Urlaubsreisen und Vermittlung von Ferienaufenthalten sorgen sollte.

Dazu ist es, wie wir wissen, nicht gekommen. Dass die Volksbühne in Stuttgart eng mit der Büchergilde zusammenhing, dass Museumsbesuche seit langem zum Programm von Volksbühnen gehören, dass Theaterreisen ein interessanter Bestandteil von ihnen geworden sind, liegt heute auf der gleichen Ebene. Wie man die gesellschaftliche Neuordnung in einem Volksbühnenprogramm formuliert, hat der einst bestandene Verband der deutschen Volksbühnen-Vereine immer wieder zu bewältigen versucht.

Schon vor 60 und 50 Jahren ging es immer wieder in den Überlegungen zu aktualisierten Programmentwürfen des Vereins um die Frage, ob man den Namen „Volksbühne“ verändern müsste, ob man auch ihn aktualisieren sollte. Die Mehrheit lehnte es ab, weil die Tradition den Begriff über seine ursprüngliche Herkunft hinaus geprägt hatte. Unter den 60 heute noch bestehenden Vereinen in Deutschland gibt es einige, die den Namen Volksbühne abgelegt haben: Kulturclub Bergisch Land, Theaterring Duisburg, Essener Theaterring, Theatergemeinde Gelsenkirchen, Kulturgemeinschaft Stuttgart, Theaterring Worms.

Andere haben dem Namen Volksbühne einen erläuternden Begriff hinzugefügt: Kulturgemeinschaft Volksbühne Dortmund, Kulturgemeinde Volksbühne Hagen, Theatergemeinde Volksbühne Heidelberg, Volksbühne Kassel Theaterabo+Kultur, Theaterring Volksbühne Münster, Theaterring Volksbühne Velbert, Kulturvereinigung Volksbühne Wiesbaden, Theatergemeinde Volksbühne Witten, Kulturgemeinde Volksbühne Wuppertal.

Wiederum andere haben solche Ergänzungen nicht in ihren offiziellen Namen aufgenommen, benutzen sie aber in ihrer Werbung und auf Internetseiten.

In jüngster Zeit hat die Hamburger Volksbühne ihr Programmangebot unter den Begriff „inkultur“ gestellt. Die Kasseler Volksbühne hat den Begriff „Kulturpunkt“ für sich erfunden. In beiden Fällen bleibt der Name+ „Volksbühne“ weiter im Vereinsregister registriert. Auf Plakaten und Werbeblättern wird in kleiner Schrift darauf verwiesen, dass es sich im ein Programm der Volksbühne handele. Der deutlichsten Zusätze wären Theaterbesucherorganisation, Besucherorganisation, Besuchergemeinde oder Besuchergemeinschaft. Sie eignen sich weniger für die Aufnahme in den Vereinsnamen als vielmehr zu Werbezwecken. Sich nur Theatergemeinde zu nennen, kann zu Verwechslungen führen und ist allein dort anwendbar, wo es am Ort keine der konkurrierenden Organisationen der „Theatergemeinden“ ebenfalls gibt. Grundsätzlich ist heute zumindest in der Werbung ein erläuternder Zusatz gewiss angebracht.

 

in: VOLKSBÜHNEN-SPIEGEL, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Volksbühnen-Vereine 2/13 (2013), S. 2